Donnerstag, 4. August 2016

Lombok - Rinjani

Nicht ganz leicht zu finden ist das Resort "Rinjani Mountain Garden". Wer es aber geschafft hat, wird von Irmtraud und Roland, den deutschen Eigentümern unglaublich verwöhnt. Die beiden haben sich hier, am Fuße des Vulkans, ein paradiesisches Plätzchen geschaffen: Die Gäste sind in urigen, landestypischen Holzhüttchen untergebracht, deren Terrassen einen weiten Blick freigeben auf das fruchtbare Land mit dem Meer als Horizont. Wie eigentlich immer auf Lombok, spielt sich alles im Freien ab. Schattig überdacht ist der Essensbereich. Herrlich kalt fließt ein Bächlein in das natürliche Badebecken, in dem man gemeinsam mit kleinen Fischen, Fröschen und einer Sumpfschildkröte seine Kreise zieht.




Ein Spaziergang am Nachmittag führt uns entlang von Bewässerungskanälen, in denen es munter gluckert, durch grüne Reisfelder. An manchen Stellen ist noch der dichte Regenwald stehen geblieben. Die Menschen, denen wir begegnen, erledigen ihre Arbeit.




Wer auf den Vulkan will, muss früh aufstehen, denn für die erste Etappe müssen 2000 Höhenmeter bewältigt werden. Um 7 Uhr werden wir auf der Ladefläche eines Pickups unseres Trekkingunternehmens in holprigen 20 Minuten nach Senaru (600 Meter Seehöhe) gebracht. 


Im kleinen Büro geht es schon geschäftig zu. Die Träger laden in jeweils zwei große Körbe Zelte, Schlafmatten, Schlafsäcke, Kochutensilien, Geschirr und vor allem die Lebensmittel für drei Tage. Sie sind durchwegs äußerst zäh wirkende Männer mit Stahlkörpern, die eine gute Stimmung verbreiten und den Eindruck machen, als würde ihnen die bevorstehende körperliche Höchstleistung nichts ausmachen. Beeindruckend ist das Schuhwerk, mit dem sie unterwegs sein werden: Keiner von ihnen hat etwas anderes als Flip Flops an den Füßen.


Vorerst sind wir in dichtem Regenwald unterwegs, auf einem Weg, der über knorrige Brettwurzeln führt.
Im Basecamp 2 sind fast 1000 Höhenmeter geschafft. Obwohl wir einen späteren Zeitpunkt für den Lunch gewählt hätten, heißt es für uns warten, denn jetzt wird erst einmal gekocht. Die Affen erkennen am Duft, dass es ernst wird und ziehen den Ring enger. Die Gemüsesuppe mit Nudeln, einem hartgekochten Ei, dazu Reis und Ananas schmecken wirklich gut. Die Affen holen sich ihren Anteil.


Basecamp 3, Mondokan Lolak:
„Jetzt wird es zaach!“ Die psychische Verfassung ist besser als die physische, reicht aber noch aus, um den körperlichen Einbruch vor den anderen Expeditionsteilnehmern zu verbergen. Wer jetzt über sich hinauswächst, wird belohnt. Die letzten 500 Höhenmeter sind äußerst steil und kräfteraubend, aber das Ziel, der Kraterrand in 2641 Metern Seehöhe, ist in Sicht. Als wir diesen erreichen, sind augenblicklich alle Mühen vergessen.


Ein Kranz von Vulkanen, unter ihnen der namengebende Gunung Rinjani (3724 Meter Seehöhe) bilden die 600 Meter hohen Wände einer Caldera, die von einem blauen Kratersee eingenommen wird. „Danau Segara Anak“ ist der poetische Name des stillen Gewässers, was so viel bedeutet wie „Kind des Ozeans“. Unten schmaucht der kleine Gungung Baru vor sich hin. Er ist erst 1994 bei einem Ausbruch des Rinjani entstanden und wirkt neben den ihn umgebenden Riesen wie ein kleines Kind, jugendlich feurig, aber doch harmlos.


Nach dem blutroten Sonnenuntergang wird es sehr schnell kalt. Wir beziehen unsere kleinen Zelte. Jetzt können wir auch nicht mehr die Augen verschließen vor der katastrophalen Vermüllung, die hier am Kraterrand durch die Anwesenheit der Touristen entstanden ist. Während die anderen Gruppen schon lange ihr Klohüttchen bekommen haben, müssen wir unseren Guide erst daran erinnern, dass es für uns auch langsam Zeit wird. Dieser erhebt sich in aller Ruhe und verschwindet erst einmal für eine halbe Stunde. Später stellt sich heraus, dass er sich auf die Suche nach vier halbwegs brauchbaren Stecken gemacht hat, die das Gerüst unserer Toilette bilden sollen. Das Endergebnis der mühevollen Arbeit, bei der der Wind alles tut, um das Finale hinauszuzögern, ist ein viereckiges, auf drei Seiten mit einer orangen Plane umspanntes Hüttchen, dessen Tür ein schwarzer, aufgeschnittener Müllsack ist. Dieser wirklich nicht ausreichende Sichtschutz schaut pikanterweise genau in Richtung Zeltlager. Später, in der tiefen Dunkelheit der Nacht, stellt sich heraus, dass unser Örtchen etwas unschlagbar Schönes an sich hat. Wenn man beim Hocken über dem Erdloch hinaufblickt, sieht man als schimmerndes Band den Streifen der Milchstraße über sich.


Nach einer sehr kalten Nacht geht es heute 600 Meter hinunter zum Kratersee. Wir steigen durch einen von der Sonne durchfluteten Wald hinein in die Caldera, in der tiefe Stille herrscht. Wäre da nicht gegenüber das kleine schmauchende Ungeheuer, man könnte glauben, irgendwo an einer besonders schönen Stelle der Alpen unterwegs zu sein. Der See hat heute eine tief blaue Farbe. Beim Basecamp 4 soll unser Lunch zubereitet werden. Bis es soweit ist, dürfen wir uns in den heißen Quellen, fünfzig Höhenmeter unterhalb des Kratersees, vergnügen. Zwei Wasserfälle sind der direkte Abfluss gleich neben dem Schmaucher und somit ein feuriger Gruß von Mutter Erde.


Als wir uns gerade fertig machen, um hinaufzusteigen zum Lunch, scheint mit einem Schlag die Zeit still zu stehen und sich alles ins Gegenteil zu verkehren.
12 Uhr Mittag: eine Explosion erschüttert den Berg und zugleich unser Innerstes. Wir sind so erschrocken, wie es nur sein kann, und blicken hinüber zu den Einheimischen, um zu sehen, wie sie reagieren. Eigenartigerweise lachen sie zu uns herüber, so als würden sie sich über uns lustig machen. Später erinnern wir uns daran, dass das Lachen hier alles Mögliche bedeuten kann und somit durchaus auch Ausdruck überspielter Angst sein kann. Erst als ein zweiter Knall klar macht, dass der Vulkan wirklich ausgebrochen ist, und eine schwarze Rauchsäule über dem Kraterrand aufsteigt, ergreifen alle die Flucht und deuten uns, augenblicklich aufzubrechen. 


Vorerst haben wir gar keine Zeit, in Panik zu geraten und wir hetzen hinauf zum See, denn es führt kein direkter Weg hinunter ins Tal. Dass wir dabei dem Vulkan näher kommen müssen, ist nicht wirklich erfreulich. Der Weg, der nun vor uns liegt, führt drei Stunden lang, direkt gegenüber vom gar nicht mehr niedlichen Vulkan bis zum Rand der Caldera hoch. Jetzt ist sie da, die Panik, denn von uns traut es sich niemand zu, 600 Höhenmeter in Todesangst hinauf zu hetzen. Es ist aber ohnehin gleich Schluss, denn die heruntereilenden Träger deuten uns umzukehren. Der Weg hinauf ist durch die schwarze Asche- und Gaswolke versperrt, denn der Wind trägt das Auswurfsmaterial des Vulkans direkt in diese Richtung. Wie lange Minuten dauern können, erfahren wir jetzt, während von allen Richtungen mehr und mehr Einheimische zusammenlaufen. Schließlich setzt sich der Trupp der Flüchtenden in Bewegung. Erst nach oftmaligem Fragen, wird uns erklärt, dass es anscheinend doch einen alternativen Weg gibt, der direkt hinunter sticht in ein grünes Tal. Erst nach einer Stunde Hetzens machen wir Halt, um zu verschnaufen. 


Jetzt ist wieder etwas Ruhe eingekehrt. Die Träger sitzen mit betroffenen Mienen zusammen und blicken immer wieder hinauf zum schwarzen Himmel, der sich langsam heruntersenkt. Die allergrößte Gefahr sei nun vorbei, beruhigt man uns. „Please pray with us“, sagt einer, dem die Furcht noch immer ins Gesicht geschrieben ist. „Pray for our friends.“ Der Mann deutet hinauf. Da oben sind noch viele unterwegs, die sich nun in höchster Lebensgefahr befinden. Die Gefühle, die uns überschwemmen, sind nicht zu beschreiben, bestenfalls zu benennen mit nichtssagenden Worten wie Dankbarkeit und Demut.
Jetzt erfahren wir auch, dass uns ein elendslanger Abstieg auf einem Pfad bevorsteht, der normalerweise nur von Einheimischen begangen und nicht wirklich in Stand gehalten wird. Wie lange wir brauchen werden, kann uns niemand sagen, denn nur wenige der Träger scheinen den Weg zu kennen. Dass wir nun an unsere Grenzen gehen, ist eine klare Sache. Immerhin sind wir, von der Explosion bis zum Endpunkt unseres Marsches in Torean, acht Stunden in schwierigstem Gelände unterwegs. Trotz der Erschöpfung, die uns bald überkommt, erfassen wir die Schönheit des Weges, der uns durch das Tal des gelben Flusses führt. Es fällt in steilen, dunkelgrünen Hängen ab und strahlt eine wilde Unberührtheit aus, die bisher wohl nur wenige Touristen zu Gesicht bekommen haben.


Am Ende unseres Weges brauchen wir die Stirnlampen, denn längst ist die Nacht hereingebrochen, und wir sind in dichtem Regenwald unterwegs. Für uns erübrigt es sich, nach so einem Erlebnis irgendetwas zu bereuen oder zu hinterfragen. Es ist einfach passiert, so wie das Leben passiert: Unberechenbar und in seiner Wucht wohl kaum zu übertreffen.

1 Kommentar:

  1. Berge sind genauso faszinierend wie gefährlich. Als Sohn der Berge habe ich meine Sensitivität für die Welt an ihnen gestählt.

    Anton Christian Glatz

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