Mittwoch, 1. Oktober 2014

Von altbalinesischem Zauber und heiligen Fledermäusen

Abgeschieden in dichten Wäldern liegt das Dorf Tenganan, das von einer kleinen Lebensgemeinschaft der Bali Aga bewohnt wird. Dieses Volk führt seine aristokratische Herkunft auf die Zeit der Bedulu-Könige im 10. bis 14. Jh. zurück und gibt sogar Indra, den Götterkönig selbst, als seinen Stammesvater an. Über Jahrhunderte mieden die Bali Aga den Kontakt mit der Außenwelt und heirateten untereinander. Sie gelten als vermögend, verpachten ihre Felder und verrichten selbst, soweit möglich, keine schwere, körperliche Arbeit, um Zeit zu haben für ihre umfangreichen, spirituellen Tätigkeiten.  Die Hauptstraße des Ortes verläuft in der Achse vom Meer zum göttlichen Berg Gunung Agung.
Als wir das Dorf erreichen, werden wir von einem jungen Mann ohne Umwege in einen prunkvollen Raum geführt, wo uns die berühmte Ikat-Weberei des Dorfes gezeigt wird. Die übrigen Balinesen haben für die Bali Aga zwar nur ein mitleidiges Lächeln über, aber an der magischen Kraft des „Kamben Geringsing“ besteht inselweit kein Zweifel. Hierbei handelt es sich um im Doppelikat-Verfahren gefertigte rituelle Tücher, deren Herstellung im Geheimen und nur zu bestimmten, mythologisch festgelegten Tagen erfolgt.



Sowohl Kett- als auch Schussfäden sind eingefärbt, wobei die verwendeten Farben für die Trinität des einen Gottes stehen: Rot für Brahma (Feuer), Schwarz für Vishnu (Wasser) und Weiß für Shiwa (Wind).  Die Methode der Fertigung besteht darin, dass Abschnitte der Kett- und Schussfäden vor dem Färben bündelweise mit Bast umwickelt werden, damit diese nach dem Färben ihre ursprüngliche Farbe behalten. Bis zur Fertigstellung eines Kamben Geringsing können bis zu 5 Jahre vergehen. Die häufig zu beobachtenden, kleinen Löcher sind kein Mottenfraß, sondern Teil des spirituellen Einsatzes dieser Textilien. Fragmente werden von den Tüchern geschnitten, gekocht und anschließend wird die Flüssigkeit als Medizin getrunken.


Besonders schön sind auch die ebenso im Ort gefertigten "Lontar" genannten Palmblattmanuskripte. Zur Herstellung von Lontars werden die Blätter der Lontar-Palme getrocknet, in Stücke geschnitten und zusammen geklebt. Die Vorder- und Rückseiten der Lontars bestehen aus dünnen Täfelchen, auf die die heiligen Texte oder Bilder mit einem harten Stift geritzt werden.
In Tenganan sieht man, so wie in allen anderen Dörfern Balis, am Straßenrand und in den Gehöften prächtige, oft grellbunt gefärbte Hähne unter bienenkorbförmigen Bambuskäfigen. Diese eigens gezüchteten Kampfhähne sind der ganze Stolz ihrer Besitzer. Offiziell ist der Hahnenkampf verboten, aber als rituelles Blutopfer für das Gleichgewicht zwischen den positiven und den negativen Mächten ist er für Balinesen nach wie vor von großer Bedeutung. Er gewährleistet die Stabilität des Kosmos. Überdies hat die Regierung beim Verbot des Kampfes ihre Rechnung ohne die Wettleidenschaft der Balinesen gemacht. Nach wie vor finden in den Dörfern Hahnenkämpfe statt, oft auch mit blutigem Ausgang. Nicht selten verwetten die ausschließlich männlichen Zuschauer dabei Haus und Hof. Das Schicksal des unterlegenen Hahnes ist in jedem Fall besiegelt, denn wenn er den Kampfplatz lebendig verlässt, fällt er doch dem Besitzer des siegreichen Tieres zu und bereichert in der Folge dessen Speiseplan.
 

 

Das letzte Ziel unserer heutigen Besichtigungsfahrt führt uns zum Tempel Goa Lawah am Eingang der gleichnamigen, heiligen Fledermaushöhle. Tausende von Fruchtfledermäusen, eine kleinere Art der Flughunde, hängen in dicken Trauben rund um deren Eingang. Sie baumeln so dicht nebeneinander, dass es so aussieht, als sei der Felsen von einer kompakten Masse zappelnder Leiber überzogen. In der Vorstellung der Gläubigen soll sich die Höhle Goa Lawah bis zum gut 20 km entfernten Pura Besakih, am Fuße des Gunung Agung erstrecken und somit die Verbindung zwischen den kosmischen Gegenpolen Berg und Meer, bzw. Ober- und Unterwelt herstellen.






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